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AnnenMayKantereit und das Album nach dem Rausch: «Schlagschatten»

Als die Band AnnenMayKantereit ihr Debüt veröffentlichte, galt sie als Sensation: Aus Strassenmusikern waren die Retter der deutschen Popmusik geworden. Trotz viel Hype haben sie versucht unbefangen ein neues Album zu machen.

04.12.2018 / 14:53 / von: vsu/sda
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Christopher Annen, Henning May, Severin Kantereit und Malte Huck sind AnnenMayKantereit. (Bild: commons.wikipedia.org)

Christopher Annen, Henning May, Severin Kantereit und Malte Huck sind AnnenMayKantereit. (Bild: commons.wikipedia.org)

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Wenn man sich mit der Kölner Band AnnenMayKantereit an einen Tisch setzt, kann man schnell das Gefühl bekommen, dass man einem netten Abend in einer WG-Küche beiwohnt. Es wird gelacht, es geht um Freundinnen, eine Reise durch die USA, ein bisschen Politik. Am Ende kommt sogar eine Prise Jungshumor dazu, weil einer am Tisch über eine Start-up-Schnapsidee spricht, in der es – grob gesagt – um die Monetarisierung menschlicher Ausscheidungen geht. Kann man sich so die aussergewöhnlichste deutsche Band der vergangenen Jahre vorstellen? Man kann.

Das Aussergewöhnliche ist, dass es das WG-Küchen-Gefühl bei AnnenMayKantereit noch gibt, auch musikalisch. Am Freitag, 7. Dezember, erscheint ihr neues Album «Schlagschatten». Es macht relativ unverkrampft dort weiter, wo das Debüt «Alles Nix Konkretes» 2016 aufgehört hat – mit deutschsprachiger Gitarrenmusik, in der einigermassen geradlinig über Liebe, Erwachsenwerden und Erwachsensein gesungen wird. Das hätte bei all dem Hype auch ganz anders laufen können. «Es war schon sehr schnell, was da passiert ist», sagt Severin Kantereit, wenn er über die Zeit ab 2016 spricht.

Weniger Fussgängerzone

Ein kurzer Blick auf die Vorgeschichte: Drei kluge Jungs lernen sich auf dem Gymnasium im Kölner Stadtteil Sülz kennen, der sehr viel solider ist, als sein Name vermuten lässt. Sie gründen eine Band, zusammengesetzt aus ihren Nachnamen: Christopher Annen (28, Gitarre), Henning May (26, Gesang, Klavier, Gitarre) und Severin Kantereit (26, Schlagzeug). 2014 stösst noch Bassist Malte Huck (24) dazu.

Die Band spielt in Fussgängerzonen, veröffentlicht Lieder auf YouTube, hat erste Auftritte und wird zum Geheimtipp – ganz ohne mächtige Hilfe von aussen, ganz ohne Castingshow. Als das erste Album – nun beim grossen Label Universal Music – auf Platz eins schiesst, ist das Musikmärchen perfekt. AnnenMayKantereit gelten nun als Rettung für alle, die mit deutschem Pop à la Tim Bendzko schon abgeschlossen haben. Musikliebhaber flechten Kränze aus Lobeshymnen.

Dann allerdings passiert etwas Interessantes: Die eine oder andere harte Kritik erscheint. Die Band sei kreuzbrav, mache Musik für Spiesser und wolle partout nicht wehtun, so die Vorwürfe. AnnenMayKantereit sind nun quasi ein singender Bausparvertrag. «Auf einmal wurde uns von allen Seiten so eine Art Agenda vorgelegt: Ihr macht jetzt Musik für junge Leute, ihr seid das Sprachrohr einer Generation», erinnert sich Malte Huck. «Auf einmal kam so eine Erwartung mit rein, die wir so gar nicht kannten», sagt er. «Auf einmal war das Album auch nicht politisch genug. Als ob wir vorher ein krasses Aushängeschild für politische Musik gewesen wären.» Sänger Henning May macht es heute noch ziemlich fuchsig, wenn man ihn auf bestimmte Kritiker-Zeilen von damals anspricht: «Wir sind junge Männer, die eher über Gefühle singen als darüber, dass wir Leuten das Steissbein brechen», sagt er dann. «Wo ist da das Problem?»

Nach wie vor viel Liebe

Die Kunst bestand nun darin, sich von all dem nicht kirre machen zu lassen. AnnenMayKantereit ist das anscheinend gelungen. «Schlagschatten» ist eher Evolution als Revolution. Die Songs klingen reifer und sind klarkantiger produziert. AnnenMayKantereit klingen jetzt etwas mehr nach Studio und etwas weniger nach Fussgängerzone. Auch das Songwriting hat sich entwickelt. Hängen bleibt man unweigerlich bei «Weisse Wand», das tatsächlich ins Politische driftet und die vergangenen Jahre verarbeitet. «Flüchtlingskrise fühlt sich an wie Reichstagsbrand, auch wenn ich das nicht vergleichen kann», singt Henning May darin. «Als wir unser erstes Album gemacht haben, waren wir superjung und hatten überhaupt keine Lebenserfahrung», sagt er dazu. Nun sei das anders. «Und was wir gesehen haben ist, dass sich unser Land radikalisiert hat, in alle möglichen Richtungen.»

Bevor man sich nun sorgt: Natürlich geht es auch wieder um Liebe und um Befindlichkeiten mit unter 30. May verleugnet das gar nicht. «Der grösste Teil des Albums beschäftigt sich mit Nähe, Intimität, Gefühle, Schmusen», sagt er. Für ihn ist das sogar eine Befriedigung: «Weil ich mich nach dem ersten Album schon gefragt habe, ob ich jemals wieder ein Liebeslied schreiben will.»

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