Simon Stocker muss um seinen Platz im Ständerat zittern
Der 43-jährige Simon Stocker hat im November vergangenen Jahres im zweiten Wahlgang den Sitz des parteilosen Thomas Minder erobert. Stocker übte das Amt seither normal aus – aufgrund einer weiterhin hängigen Wahlbeschwerde jedoch gewissermassen «unter Vorbehalt».
In der Beschwerde geht es darum, ob Stocker überhaupt die Voraussetzungen, gewählt zu werden, erfülle. Wie die «Weltwoche» wenige Tage nach seiner Wahl berichtete, soll Stocker zum Zeitpunkt der Wahl mit seiner Familie hauptsächlich in der Stadt Zürich gelebt haben. In Schaffhausen habe er lediglich eine kleine Wohnung gemietet, um sich dort anmelden und für den Ständerat kandidieren zu können. Das ist der Darstellung «Weltwoche» zu entnehmen, die der Wahlbeschwerde zugrunde liegt.
Stocker wies die Vorwürfe rasch zurück und behauptete, der Lebensmittelpunkt der Familie befinde sich in Schaffhausen. Die Wohnung in Zürich benötige man, damit seine Frau zu ihrer Arbeitsstelle im Kanton Aargau pendeln könne.
Regierungsrat wies Beschwerde ab
Der Schaffhauser Regierungsrat wies die Beschwerde wenige Tage nach Einreichung ab. Er stützte sich dabei im Wesentlichen auf Stockers Anmeldung im Einwohnerregister der Stadt Schaffhausen. Der Entscheid wurde ans Schaffhauser Obergericht weitergezogen.
Da vergleichbare Fälle rar sind, stellt sich die Frage, welche Regeln eigentlich gelten und wie sie anzuwenden sind. Eine etablierte Praxis zur Ermittlung des tatsächlichen Wohnsitzes gibt es beispielsweise im Steuerrecht – ob und wie deren Regeln im vorliegenden Fall allenfalls herangezogen werden können, ist offen.
Sollte die Beschwerde gutgeheissen werden, müsste Stockers Wahl aufgehoben werden. Der Beschwerdeführer beantragt, dass dann der zweitplatzierte Thomas Minder für gewählt erklärt wird. Möglich wäre aber auch, dass Neuwahlen angeordnet werden. Stocker könnte dann erneut kandidieren, sofern er die Wählbarkeitsvoraussetzungen zum Wahltermin erfüllt.
Ein Entscheid des Schaffhauser Obergericht noch am Dienstag ist nicht zu erwarten. Wie Obergerichtspräsidentin Annette Dolge gegenüber den Schaffhauser Nachrichten sagte, rechnet sie jedoch mit einem Urteil noch vor den Sommerferien. Der Entscheid kann danach noch ans Bundesgericht weitergezogen werden.
Beschwerdeführer gegen Schaffhauser Ständerat will Klarheit
"Mit meiner Beschwerde will ich erreichen, dass die umstrittene Wohnsitzfrage im Fall von Simon Stocker von einem unabhängigen Gericht beurteilt wird", sagte der Beschwerdeführer während seiner Befragung am Dienstagmorgen. Als erste Instanz befasste sich der Schaffhauser Regierungsrat im vergangenen Dezember mit der Beschwerde und wies sie ab.
Der Beschwerdeführer, der namentlich nicht genannt werden will, wohnt in einer Schaffhauser Landgemeinde. Er verfasste im Wahlkampf mehrere Leserbriefe für die Wiederwahl von Ständerat Thomas Minder (parteilos). Zudem hat er laut eigenen Aussagen zwei Mal Flyer verteilt für diesen. Er sei aber nicht Mitglied seines Wahlkomitees gewesen.
Stocker eroberte den Ständeratssitz von Minder im zweiten Wahlgang am 19. November 2023. Am Freitag, 24. November, wurde das amtliche Ergebnis publiziert - und am selben Tag erschien in der «Weltwoche» online ein Artikel, in dem Stocker unterstellt wurde, er habe seinen tatsächlichen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in der Stadt Zürich. In Schaffhausen soll er nur eine kleine Wohnung angemietet und sich angemeldet haben, um für den Ständerat zu kandidieren.
Mitglied von Minders Team vermittelte Kontakt
Wie der Beschwerdeführer vor Gericht sagte, habe er ein Mitglied von Minders Wahlkampfteam angerufen, nachdem er den «Weltwoche»-Artikel gelesen hatte. Dieser hätte ihm gesagt, dass bereits ein Anwalt mit dem Schreiben einer Beschwerde begonnen habe, und dass er sich dieser gerne anschliessen könne, wenn er wolle. Zudem sei ihm versichert worden, dass die Sache keine Kostenfolgen haben werde für ihn.
Laut der Beschwerde erfüllte Stocker die Wählbarkeitssvoraussetzungen nicht, weil seine Frau und der gemeinsame Sohn zum Zeitpunkt der Wahl in Zürich wohnten und dort auch angemeldet waren. Stocker selber hat anfangs 2022 eine Wohnung in Schaffhausen gemietet und sich dort auch angemeldet.
Gemäss der Argumentation des Beschwerdeführers befand sich Stockers Lebensmittelpunkt und tatsächlicher Wohnsitz aber weiterhin in Zürich - weshalb er nicht zum Schaffhauser Ständerat gewählt werden konnte. «Der Wohnsitz einer Familie ist grundsätzlich dort, wo die Kinder leben», sagte der Anwalt des Beschwerdeführers.
Stocker beklagt Einmischung ins Privatleben
Stocker, der sein Ständerats-Amt trotz Beschwerde seit der Wahl ausübt, war an der Verhandlung am Dienstag anwesend. Er kritisierte die Beschwerde als Einmischung in das Privatleben seiner Familie. «Wir müssen uns bis auf die Unterwäsche entblössen und uns für unseren Lebensentwurf rechtfertigen», sagte er.
Vor wenigen Tagen habe die Familie eine grössere Wohnung in Schaffhausen bezogen, auch seine Frau und das Kind seien mittlerweile in Schaffhausen angemeldet.
Der Anwalt des Beschwerdeführers wies die Kritik der Einmischung ins Familienleben zurück. «Niemand muss nach Schaffhausen ziehen, wenn er nicht will – man kann dann halt einfach nicht Schaffhauser Ständerat werden.»
Kurze Frist könnte entscheidend sein
Stockers Anwalt bezweifelte, dass die Wahlbeschwerde überhaupt rechtzeitig eingereicht wurde. Dass Stockers Frau und Kind weiterhin in Zürich lebten, während er selber wieder in Schaffhausen Wohnsitz genommen habe, sei «Stadtgespräch» gewesen während des Wahlkampfs. In den Medien war der Umstand jedoch kein Thema.
Wann der Beschwerdeführer von einer allfälligen Wohnsitzproblematik Stockers erfahren hat, ist relevant für das Verfahren. Passierte das bereits vor der Veröffentlichung des «Weltwoche»-Artikels, hätte er die Beschwerde nämlich schon vor den Wahlen, beziehungsweise vor der Publikation des Ergebnisses innert drei Tagen einreichen müssen.
Aber selbst wenn die Beschwerde rechtzeitig eingereicht wurde, müsste sie nach Ansicht von Stockers Anwalt abgewiesen werden. Stocker habe darauf vertrauen können, dass er nach erfolgter Anmeldung bei der Einwohnerkontrolle und dem Eintrag ins Stimmregister in Schaffhausen das Stimm- und Wahlrecht ausüben könne.
Das Gericht wird das Urteil schriftlich eröffnen. Wann das geschehen wird, ist offen. Laut Obergerichtspräsidentin Annette Dolge ist das Verfahren mit der Verhandlung vom Dienstag jedoch abgeschlossen und das Gericht beginnt mit der Urteilsberatung.