Bund warnt vor Aufbruch der rechtsextremen Szene
Die Entwicklung sei äusserst bedenklich, sagte Amherd am Freitag bei der Präsentation des NDB-Lageberichts. Es stelle sich die Frage, ob schärfere Instrumente nötig seien. Konkret zieht Amherd in Betracht, potenziell gewalttätige Extremisten abhören zu lassen.
Das Abhören von Telefongesprächen und das Eindringen in Computer ist dem Nachrichtendienst erst seit September 2017 erlaubt. Diese genehmigungspflichtigen Massnahmen darf er aber nicht im Bereich des gewalttätigen Extremismus anwenden.
Er sei der Meinung, dass dies korrigiert werden müsse, sagte Nachrichtendienstchef Jean-Philippe Gaudin. Amherd betonte, betroffen wären nur Gruppierungen mit Gewaltbezug. Sie räumte aber ein, dass die Abgrenzung heikel sei. Die Vernehmlassung zur Gesetzesrevision kündigte Amherd für den Sommer 2020 an.
Eine Folge des Fichenskandals
Dass die Möglichkeiten des Nachrichtendienstes bei Extremismus heute eingeschränkt sind, ist eine Folge des Fichenskandals, der Ende der 1980er Jahre die Schweiz erschütterte. Damals wurde bekannt, dass der Nachrichtendienst Hunderttausende aufgrund ihrer politischen Gesinnung überwachte.
Politische Parteien und Organisationen aus dem linken Spektrum werfen dem NDB vor, heute erneut zu weit zu gehen. Nach einem Artikel in der Wochenzeitung (WOZ) sprachen sie diese Woche von einem neuen Fichenskandal. Amherd wies auf die Kontrollorgane hin. Gaudin beteuerte, der NDB halte sich ans Gesetz, er beobachte weder Politikerinnen und Politiker noch politische Parteien.
Rechtsextreme sichtbarer
Gleichzeitig warnte der NDB-Chef vor dem Gewaltpotenzial extremistischer Gruppierungen. "Die Schweizer rechtsextreme Szene ist im Aufbruch", heisst es im Lagebericht. Mehrere Gruppierungen betrieben mittlerweile offene Webseiten, eine Gruppe habe in der Waadt ein Vereinslokal eröffnet.
Die Rechtsextremen verfügen laut dem NDB über grössere Mengen funktionstüchtiger Waffen, üben den Umgang damit und trainieren Kampfsportarten. Insgesamt verzeichnete der NDB im vergangenen Jahr 53 rechtsextreme Ereignisse, drei Mal mehr als im Vorjahr. Gewalttaten wurden aber keine bekannt.
Brandanschläge von Linksextremen
Die Zahl der linksextremen Ereignisse liegt weiterhin höher als jene der rechtsextremen, hat aber weniger stark zugenommen. 2018 verzeichnete der NDB 226 linksextreme Ereignisse, 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anteil der Gewalttaten an diesen Ereignissen ging von der Hälfte auf gut ein Drittel zurück. Dazu gehören Brandanschläge auf das türkische Konsulat in Zürich und auf das Staatssekretariat für Wirtschaft in Bern.
Für die Zukunft erwartet der Nachrichtendienst, dass sich die rechtsextreme Szene wieder stärker in den Schatten zurückzieht, weil die Reaktionen auf sie mit öffentlichen Auftritten zunehmen werden. "Gewaltsame Frustreaktionen sind dabei möglich", heisst es im Bericht. Das Gewaltpotenzial könnte sich in dem Moment realisieren, in dem die Szene einen Anknüpfungspunkt in der Tagesaktualität sehe.
28 Personen abgehört
Der Bericht gibt auch Auskunft über die Anwendung der neuen Überwachungsmöglichkeiten. Im vergangenen Jahr waren insgesamt 28 Personen von genehmigungspflichtigen Massnahmen wie dem Abhören von Telefongesprächen betroffen. Bewilligt wurden 193 Massnahmen in acht Operationen. Der Bundesrat war bei der Gesetzesrevision von etwa zehn Fällen im Jahr ausgegangen.
Der weitaus grösste Teil - 170 Massnahmen - betraf verbotenen Nachrichtendienst. Der NDB hat also nicht in erster Linie Terrorverdächtige abgehört, sondern Personen, die er der Spionage verdächtigt. Die 23 weiteren Überwachungsmassnahmen betrafen den Terrorismus. Daneben berichtet der NDB über einen Kabelaufklärungsauftrag und 31 Funkaufklärungsaufträge.
Aggressive russische Spionage
Dass vor allem Spione überwacht wurden, ist kein Zufall: Die Spionage habe zugenommen, schreibt der NDB. Sie befinde sich weltweit im Aufwind. In der Schweiz stellte der NDB im vergangenen Jahr "anhaltend aggressive russische Spionageaktivitäten" fest. Die Schweiz dürfte heute in Europa einer der wichtigsten Standorte der russischen Nachrichtendienste sein, schreibt er.
Nach seinen Erkenntnissen sind derzeit rund ein Drittel der in der Schweiz akkreditierten russischen Diplomaten identifizierte Angehörige von Nachrichtendiensten oder werden verdächtigt, solche zu sein.
Chinesische Cyberangriffe
Im Visier der russischen Spione waren unter anderem internationale Sportorganisationen und -verbände. Russland werde weiterhin auch auf Beeinflussungsoperationen setzen, also auf Aktivitäten wie Informationskampagnen, Manipulation und Propaganda, schreibt der NDB.
Die zweitgrösste Bedrohung geht gemäss dem Bericht von China aus. Während Russland eine grossmachtpolitische Agenda verfolgt, ist Chinas Spionage gemäss dem NDB vor allem wirtschaftlich getrieben. Die Anzahl technisch hochstehender, gezielter Cyberangriffe auf strategisch relevante Ziele habe stark zugenommen, heisst es.
NDB-Chef Gaudin äusserte sich auch zu den Vorgängen in Österreich. Er gehe davon aus, dass das Video, das den früheren FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache in Misskredit brachte, die Arbeit eines Nachrichtendienstes sei, sagte er auf eine entsprechende Frage.