Raubkunst? Winterthur gibt Gemälde an Polen zurück
Ein alter Mann mit grauen Haaren und hoher Stirn schaut mit unergründlichem Blick aus dem Bilderrahmen. Direkt in die Augen des Betrachters, er scheint stumm zu ahnen, welchen geheimnisvollen Weg das Selbstbildnis im Zweiten Weltkrieg zurücklegen wird. Dieses Wissen bleibt der Forschung jedoch bis auf Weiteres verwehrt. Klar ist jedoch: Das «Selbstbildnis im Alter von 72 Jahren» von Anton Graff hängt nicht mehr im Winterthurer Rathaus. Die Stadt hat das Bild, das im Zweiten Weltkrieg verschwunden war, an seinen ursprünglichen Ausstellungsort in Polen zurückgegeben, wie sie am Freitag mitteilte.
Zweiter Weltkrieg – Spuren verlieren sich
Im Zweiten Weltkrieg war viel Kunst auf unerklärliche Weise verlorengegangen und verschwunden. So auch das Bild des Winterthurer Malers. Wie Abklärungen der Stadt Winterthur nun ergaben, handelt es sich beim «Selbstbildnis im Alter von 72 Jahren» in der Tat um ein Bild, das 1937 in einem Museum in Breslau ausgestellt war. Das Kunstwerk sei nach einer 1939 erfolgten Evakuierung in ein Depot dann aber «aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen verschwunden und nicht mehr auffindbar gewesen». Der Zeitraum und die Umstände erwecken Assoziationen zur Raubkunst. Genauere Hintergründe wurde bis dato keine gefunden, doch 2019 meldete sich das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe der Republik Polen in Winterthur: Das Selbstporträt sei im Zweiten Weltkrieg verschollen - es soll Polen wieder zurückgegeben werden
Die Stadt hatte gemäss der Mitteilung das Bild des Porträtmalers, der 1736 in Winterthur geboren wurde und 1813 in Dresden starb, im Jahr 1986 für 16'800 Franken von einem Basler Kunsthändler gekauft. Dieser hatte es zuvor aus schwedischem Privatbesitz erworben. Die Stadt Winterthur habe sich deshalb zur Restitution des Gemäldes entschieden, hält sie in ihrer Mitteilung fest. Mit der Rückgabe des Bildes an Polen würdige sie auch die Verbindung zu Breslau, in der Graffs Kunst ebenfalls geschätzt werde.
Geschätzter Maler
Anton Graff war ein klassizistischer Maler. Im ausgehenden 18. Jahrhundert sei er zum «eigentlichen Schöpfer des bürgerlichen Frauen- und Männerporträts in Deutschland und zugleich zum bevorzugten Porträtmaler der Dichter und Denker zwischen Aufklärung, Weimarer Klassik und Frühromantik» geworden, würdigt die Stadt Winterthur in ihrer Mitteilung den Künstler. Sie besitzt von ihm zahlreiche weitere Bilder.