Das Zürcher Bezirksgericht schickt Pierin Vincenz ins Gefängnis
Dass Wirtschaftsdelikte kaum je mit empfindlichen Strafen enden, traf zumindest am Mittwoch im Volkshaus nicht zu: Das Bezirksgericht verurteilte den tief gefallenen ehemaligen Banken-Chef wegen mehrfacher Veruntreuung, mehrfacher ungetreuer Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung, Betrug, versuchten Betrugs und wegen mehrfacher passiver Bestechung.
Zusätzlich zu einer überraschend langen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten erhielt Vincenz eine bedingte Geldstrafe von 280 Tagessätzen zu 3'000 Franken, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Er nahm das Urteil reglos zur Kenntnis.
Der Richter beurteilte das Verschulden des ehemaligen Raiffeisen-Chefs als «erheblich». Bei den Firmenbeteiligungen habe er teilweise hohe kriminelle Energie bewiesen. Man müsse ihm aber zugute halten, dass vor allem Banken und keine «einfachen Bürger» geschädigt worden seien.
Experten sind von der Härte des Urteils überrascht worden – das ganze Interview von RADIO TOP mit Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht:
«Auch Beziehungspflege hat Grenzen»
Das Gericht kritisierte auch Vincenz' Art der Spesenabrechnung. Die vielen Besuche in Stripclubs und Cabarets in der ganzen Schweiz seien «nicht im Interesse der Raiffeisen» gewesen. Dieses Verständnis, dass alle Auslagen unter Spesen fallen würden, gehe «deutlich zu weit». Auch Beziehungspflege habe Grenzen.
Zudem habe Vincenz auch private Reisen, etwa nach Dubai oder mit seinem Koch-Club nach Mallorca, als Geschäftsauslagen verbucht. Nicht rechtens war gemäss dem Richter auch, dass Vincenz ein Tinder-Date in einem teuren Restaurant und die Renovation eines verwüsteten Hotelzimmers auf die Raiffeisen verbuchte. Vincenz hatte das Tinder-Date beim Prozess als «Bewerbungsgespräch» bezeichnet.
TELE TOP hat die Reaktion von Pierin Vincenz nach der Urteilsverkündigung eingefangen:
Vincenz zieht vor Obergericht
In mehreren Punkten wurde Vincenz jedoch auch freigesprochen, weil die Staatsanwaltschaft keine stichhaltigen Belege vorlegen konnte. Der Staatsanwalt hatte eigentlich eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren gefordert. Das Gericht folgte ihm somit nur zum Teil.
Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel zeigte sich trotzdem zufrieden. Die Anklage sei in wesentlichen Punkten durchgedrungen, die Strategie sei somit aufgegangen. Ob er das Urteil weiterzieht und vor Obergericht eine noch schärfere Strafe verlangt, ist offen.
Von den drei Jahren und neun Monaten, die Vincenz nun hinter Gittern blühen, hat er erst etwas über drei Monate in Untersuchungshaft abgesessen. Er hat somit noch etwa 3,5 Jahre vor sich. Sein Anwalt Lorenz Erni bezeichnete das Urteil kurz und knapp als «falsch». Es werde eine Berufung vor Obergericht geben.
Wie die Medien das Urteil gegen Pierin Vincenz beeinflusst haben – im Beitrag von RADIO TOP:
Auch Stocker dürfte Urteil weiterziehen
Den zweiten Hauptbeschuldigten, den ehemaligen Aduno-Chef Beat Stocker, traf es noch härter als Vincenz: Das Gericht verurteilte ihn zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren, also noch drei Monate mehr als jene von Vincenz.
Zusätzlich zur Freiheitsstrafe erhielt er eine bedingte Geldstrafe 160 Tagessätzen zu 3'000 Franken. Das Gericht sprach Stocker wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, Anstiftung zur ungetreuen Geschäftsbesorgung, Betrugs, versuchten Betrugs, passiver Bestechung, Verletzung des Geschäftsgeheimnisses und der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig. Gemäss Stockers Anwalt ist es «sehr wahrscheinlich» dass er das Urteil ebenfalls weiterzieht.
Vincenz und Stocker sollen sich versteckt an Firmen beteiligt und danach dafür gesorgt haben, dass diese Unternehmen durch die Raiffeisen oder die Kreditkartenfirma Aduno aufgekauft wurden. Dabei sollen die beiden Gewinne in Millionenhöhe eingestrichen haben.
Sie müssen Millionen zurückzahlen
Diese Gewinne wollen die Geschädigten zurück: Vincenz und Stocker müssen einer geschädigten Firma zusammen 2,6 Millionen Franken zurückzahlen. Vincenz soll der Raiffeisen zudem die Auslagen für die «Beziehungspflege» rückerstatten, rund 300'000 Franken.
Die Raiffeisen-Bank nahm das Urteil gegen ihren Ex-Chef «zur Kenntnis». Auf Anfrage teilte die Bank mit, dass sie als Privatklägerin vorsorglich Berufung anmeldet.
Der Basler Strafrechtler Mark Pieth begrüsst, dass es nicht zu einem Freispruch kam. Das Strafmass sei deutlich höher ausgefallen, als viele Prozess-Beobachter dies erwartet hätten, sagte er auf Anfrage von Keystone-SDA.
Von den fünf Mitbeschuldigten, die Vincenz und Stocker bei ihren illegalen Transaktionen geholfen haben sollen, wurden drei zu bedingten Geldstrafen verurteilt. Ein Mitbeschuldigter wurde freigesprochen, ein Verfahren wurde eingestellt.