Schüsse auf psychisch Kranken: Zürcher Polizist freigesprochen
«Auch für einen abgebrühten Polizisten war das nicht Alltag», sagte der Oberrichter bei der Urteilseröffnung und zeigte damit Verständnis für die Art und Weise, wie der Stadtpolizist auf die brenzlige Situation im Jahr 2015 reagierte.
An einem Sonntagmorgen lief ein psychisch kranker Mann mit einem 25 Zentimeter langen Fleischmesser durch Zürich-Wiedikon. Noch bevor die fünf Polizisten den Mann kontrollieren konnten, ging er mit dem Messer auf sie los und schrie «kill me, kill me».
Zwei der fünf Polizisten zückten ihre Waffen und gaben insgesamt 13 Schüsse ab, wobei das Opfer von sechs Kugeln getroffen wurde. Elf der 13 Kugeln stammten aus der Waffe des heute 34-jährigen Beschuldigten. «Wir mussten innert Kürze entscheiden, was wir tun. Es ging nicht anders», sagte er am Dienstag vor Obergericht. «Ich hatte Angst um mein Leben und das meiner Kollegen.»
«Einseitige Verfahrensführung»
Mit seinem Freispruch folgte das Obergericht der Vorinstanz, dem Bezirksgericht Zürich, und dem Antrag der Staatsanwalt. Dies war einer der seltenen Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft einen Freispruch für einen Beschuldigten forderte.
Der Anwalt des Opfers verlangte hingegen eine Verurteilung und kritisierte die «einseitige Verfahrensführung». Da sei, wie eigentlich immer bei Polizei-Fällen, reflexartig angenommen worden, dass die Schüsse gerechtfertigt und "Notwehr" gewesen seien.
Der Oberrichter war jedoch anderer Meinung. Es gebe keine Anzeichen dafür, dass die Untersuchung unseriös geführt worden sei. Nur in einem Punkt kritisierte der Richter die Staatsanwaltschaft: Ein Gespräch zwischen dem Staatsanwalt und einem Polizisten wurde offenbar nicht dokumentiert.
«Das war nicht korrekt. Das riecht etwas nach Infantino.» In diesem Fall sei dieses Gespräch aber sicher nicht matchentscheidend gewesen, egal was dort geredet worden sei.
Linker Arm kaum noch funktionsfähig
Nicht vor Gericht erschien am Dienstag der psychisch kranke Mann, der bis heute unter den Schussverletzungen leidet. Sein linker Arm ist kaum noch funktionsfähig. Drei Finger sind dauerhaft gekrümmt, die Schmerzen sind chronisch. «Sein Leben ist ruiniert», sagte sein Anwalt dazu. Bei allem Verständnis für den Polizisten dürften die Folgen für das Opfer nicht vergessen werden.
Auch gegen den Äthiopier mit dem Fleischmesser wurde ein Verfahren eingeleitet. Das Bezirksgericht Zürich sprach ihn 2016 aber vom Vorwurf der versuchten schweren Körperverletzung frei und verordnete eine ambulante Therapie. Der Mann leidet an einer schizophrenen Psychose und war zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig. Er sagte aus, ein intensiver Geruch habe ihn angetrieben.
Der Stadtpolizist arbeitet mittlerweile nicht mehr an der Front, sondern seit 2017 in der digitalen Forensik, wo er elektronische Geräte und Daten sichert. Das gefalle ihm sehr gut.